Toblacher Thesen 1991

ENERGIE,

Kernfrage der Zukunft

These 1

Wenn wir in den reichen Industrieländern mit der bisherigen Wirtschaftsform und Lebensweise so weitermachen, werden die bereits heute sichtbaren Überschreitungen der natürlichen Belastungsgrenzen der Erd-Ökosysteme katastrophale Ausmaße annehmen: Hungersnöte, Völkerwanderungen, kriegerische Auseinandersetzungen um Rohstoffe (Krieg ums öl), atomare Verwüstungen, verschärfte Verteilungskonflikte zwischen Nord und Süd, aber auch Ost und West, sind die Folge. Wir brauchen neue Visionen, die Leben im Einklang mit der Natur, soziale Gerechtigkeit und nachhaltiges Wirtschaften verbinden.

These 2

Weltweit nehmen die extremen Wetterereignisse und immer mehr menschengemachte "Natur"-Katastrophen zu. Tropische Wirbelstürme, sintflutartige Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen häufen sich. Die drohende, in der Geschwindigkeit noch nie dagewesene globale Klimaänderung (Treibhauseffekt) stellt eine der größten Gefahren für die Menschheit und die gesamte Biosphäre dar. Neben der Beendigung der Abholzungen und der Umkehr in Richtung weltweiter Aufforstung müssen die Emissionen von Kohlendioxid, das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entsteht, und aller anderen klimaschädigenden Gase drastisch reduziert werden: zur Stabilisierung des Klimas und zur Sicherung der Entwicklungschancen der Dritten Welt müssen wir in den Industrieländern die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2050 um 80% reduziert haben. Ein erster entscheidender Schritt ist eine 30%ige Reduktion bis zum Jahr 2005. Diese Ziele sind erreichbar.

These 3

Wir in den Industrieländern, die ein Viertel der Weltbevölkerung darstellen, sind für Dreiviertel der Schadstoffbelastung und Klimaänderungen verantwortlich. Die Hauptlast der Folgen werden diejenigen zu tragen haben, die am wenigsten zur Verursachung beitragen und die geringsten Ausweichmöglichkeiten haben: die Menschen in der Dritten Welt. Zur bestehenden ökonomischen Ausbeutung kommt eine ökologische hinzu. Nicht nur im Verhältnis von Nord und Süd, sondern auch in den einzelnen Ländern müssen die Verursacher für ihr handeln verantwortlich gemacht werden. Um den maßlosen Natur- und Ressourcenverzehr zu beenden, müssen grundsätzlich neue Rahmenbedingungen politisch gesetzt werden: umweltschonendes Verhalten muß gefördert und belohnt, umweltbelastendes unterbunden und verteuert werden (insbesondere durch Energieabgaben und Ökobonus).

These 4

Eine Energie-Wende ist möglich. Sie wird erreicht durch eine höhere Effizienz unserer Energienutzung, erfordert aber auch ein Hinterfragen unserer Art zu wirtschaften und zu leben. Es ist erwiesen, daß das Energiepotential außerordentlich hoch ist. Neue Organisationsformen und Marktkonzepte einer rationelleren Energienutzung sind notwendig. Gefragt ist nicht die "Ware-Energie", sondern sind "Energie-Dienstleistungen", das heißt z.B. temperierte Räume, Produkte oder Transport von Personen und Gütern. Diese Energie-Dienstleistungen können mit erheblich weniger Energie, mit mehr Intelligenz und sinnvollerer Technik erbracht werden.

These 5

Nur die erneuerbaren Energiequellen stellen ein langfristig verfügbares und risikoarmes Nutzungspotential dar. Hierzu zählen alle direkten und indirekten Formen der Solarenergie, wie passive Nutzung durch Solararchitektur, thermische Nutzung durch Kollektoren, Strom durch Solarzellen; die Windenergie; die Biomasse, vor allem Abfallholz, Stroh und gewisse nachwachsende Rohstoffe; Biogas und schließlich die Wasserkraft. Der Durchbruch der Sonnenenergiewirtschaft wird dezentral oder gar nicht stattfinden.

These 6

Energiesparendes Bauen ist Voraussetzung für ökologisches Bauen. Ein drastisch reduzierter Energieverbrauch der Gebäude für Heizung/Klima/Lüftung und Warmwasserbereitung ist eine entscheidende Zielgröße, die bei Planung, Bau und Betrieb eines Gebäudes berücksichtigt werden muß. Niedrigenergiehäuser mit einem Viertel des üblichen Energieverbrauchs sind durch kompakte Bauweise, Wärmeschutz der Außenbauteile und Vermeidung von Wärmebrücken heute technisch möglich und ökonomisch rentabel. In Skandinavien sind sie bereits Baustandard. Vorrang muß die Reduzierung des Energieverbrauchs der bestehenden Bauten haben. Energiesparendes Bauen läßt sich durchaus mit regionaler Bautradition in Einklang bringen.

These 7

Das heutige Verkehrssystem in seiner Ausrichtung auf das Automobil ist eine Energieverschwendung und ökologisch und sozial zerstörerisch. Eine neue Verkehrspolitik muß darauf abzielen, Verkehr zu vermeiden, Transportwege zu verkürzen und energiesparende Transporttechniken einzusetzen. Nur wenn die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs und der Ausbau öffentlicher Verkehrssysteme gleichzeitig stattfinden, sind diese Ziele erreichbar. Die Treibstoffpreise müssen so weit erhöht werden, daß sie auch die ökologischen und sozialen Kosten des Verkehrs decken. Im Ergebnis wird das weniger an Verkehr ein mehr an Wirklichkeit unserer Lebensräume bringen und regionale Strukturen stärken.

These 8

Für eine Energie-Wende kommt den Kommunen und den örtlichen Energieversorgungsunternehmen eine Schlüsselrolle zu. Die Kommunen müssen verbindliche Pläne zur CO2-Verminderung beschließen. Die Energieversorger (EVU) müssen sich zu Energiedienstleistungsunternehmen (EDU) wandeln und Energiedienstleistungen anbieten. Ein Energiedienstleistungspaket enthält Beratung, Planung der Maßnahmen, Finanzierung und Betrieb von Anlagen bei den Kunden und die dazugehörenden Serviceleistungen. Das beste EDU ist jenes, das bei seinen Kunden die niedrigsten Energiekosten entstehen läßt und nicht den niedrigsten Kilowattpreis anbietet.

These 9

Die wichtigsten Hemmnisse einer rationellen Energienutzung sind die hochmonopolisierte Struktur der Energieanbieter mit ihren Großkraftwerken und ein diese Strukturen absicherndes Energierecht. Weiterhin gehören dazu die mangelnde Förderung neuer Energietechnik und der diesbezüglichen Fachkompetenz, die fehlende Innovationsbereitschaft sowie mangelnde oder falsche Information der Bürger. Das Ergebnis ist eine ständige Fehlleistung von Steuergeldern und Kapital zur Erweiterung des Energieangebotes anstelle ihres Einsatzes für die rationelle Energienutzung.

These 10

Jeder und jede von uns trägt Mitverantwortung an den globalen Umweltproblemen und der Klimaänderung. Die Lösung muß daher von jedem und jeder einzelnen ausgehen. Im privaten Bereich gibt es erhebliche ungenutzte Energiesparpotentiale, z.B. bei der Wahl und Nutzung von Haushaltsgeräten, bei Heizanlagen und Beleuchtung, durch bewußte Nutzung der Verkehrsmittel, beim Einkaufen und durch Müllvermeidung. Energiesparen muß durch geeignete Informations- und Motivationsmaßnahmen gefördert werden. Energiesparen heißt auch Geldsparen.

These 11

Wir wissen genug, um jetzt zu handeln. Dringend erforderlich sind verbindliche nationale Aktionspläne zur CO2-Verminderung (wie z.B. in Dänemark). Dieser Nachweis der Verantwortungsbereitschaft der Industrieländer ist die Voraussetzung für eine wirksame internationale Klimaschutzpolitik. Der Abschluß der Konvention zum Schutz der Erdatmosphäre und zur Sicherung dauerhafter Entwicklung auf der UN-Konferenz im Juni 1992 in Brasilien wird davon abhängen. Gefordert ist eine politische Entscheidung zur Risikominimierung. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist die Voraussetzung für eine wirksame Klimaschutzpolitik. Gefordert ist außerdem eine forcierte Markteinführung für effiziente Nutzung und der Einstieg in die Sonnenenergiewirtschaft. Was zum Schutze des Klimas getan werden muß, sollte ohnehin für eine lebenswerte Zukunft geschehen.

These 12

Weniger Energieverbrauch bedeutet kein schlechteres Leben - im Gegenteil. Brauchen wir wirklich so viel Geschwindigkeit und Überkonsum? Eine Hinwendung zu neuen Werthaltungen, zu einem anderen Seinsverständnis eröffnet den Weg zu einem anderen zivilisatorischen Entwurf. Dies sichert die Chance für menschliche Entfaltung, auch zukünftiger Generationen. Dafür tragen wir heute die Verantwortung.


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