Toblacher Thesen 1990

ÖKOLOGISCH WIRTSCHAFTEN

Die Herausforderung der neunziger Jahre

These 1

Unser Wohlstandsmodell ist nicht auf die ganze Erde ausdehnbar. Auch in den Industrieländern ist es untragbar geworden. Wir sind heute an einem Punkt angelangt, wo vielfach die elementarsten Bedürfnisse, saubere Luft einatmen, sauberes Wasser zu trinken und unbelastete Nahrungsmittel zu essen, nicht mehr befriedigt werden können. Der Abschied von unserem Verschwendungswohlstand ist eine Verpflichtung der Industrieländer gegenüber der Menschheit und der Natur und die Voraussetzung überhaupt für die Lösung der globalen Umweltkrise.

These 2

Wir brauchen einen ganz anderen, einen ökologischen Wohlstand: Weniger Naturverbrauch, drastischer Abbau von Umweltbelastungen eröffnen unmittelbar den Weg zu mehr Lebensqualität. Ein ökologischer Wohlstand ist nicht erreichbar ohne eine umfassende Erneuerung unsrer Art zu wirtschaften. Eine Wirtschaft, die ihre eigenen Grundlagen zerstört, hat keine Zukunft.

These 3

Ziel einer ökologischen Wirtschaft ist die Befriedigung der Lebensbedürfnisse aller Menschen durch die nachhaltige Nutzung der Naturgüter bei dauerhafter Erhaltung der natürlichen Welt. Die heute herrschende Wachstumspolitik verhindert eine ökologische Umorientierung des Wirtschaftens. Auf dem Wege zu einer öko-sozialen Wirtschaft sind mehr Dezentralisierung, Stärkung der lokalen Wirtschaft, mehr Eigenarbeit, weniger Arbeitsteilung und somit eine größere Selbstbestimmung der Arbeit anzustreben.

These 4

Das Bruttosozialprodukt, an dem sich die heutige Politik wesentlich ausrichtet, ist ein völlig ungeeigneter Maßstab des Wohlstandes. Es läßt die gigantischen und weiterhin stark wachsenden ökologischen und sozialen Folgekosten unserer Art des Wirtschaftens vollkommen unberücksichtigt. Gefragt ist eine öko-soziale volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die die Folgelasten und Opfer unserer Wachstumseuphorie offenlegt und somit den Preis unseres jetzigen Wohlstandsmodells erkennen läßt. Unsere Wirtschaft wird auch ökonomisch von Tag zu Tag mehr und mehr untragbar. Sie verzehrt die erforderlichen Mittel für den notwendigen ökologischen Umbau.

These 5

Die historische Aufgabe der Rettung unserer Lebensgrundlagen vor uns selbst und die Schaffung eines neuen ökologischen Wohlstandes erfordern die Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte. Der unumgängliche Abbau der Vorherrschaft der Ökonomie zugunsten der Aufwertung der anderen Lebensbereiche wird grundsätzliche Fragen aufwerfen und zu scharfen Konflikten führen. Diese Konflikte müssen offen und demokratisch ausgetragen werden. Alte Frontstellungen und Schuldzuweisungen führen nicht weiter.

These 6

Umweltpolitik und Wirtschaftspolitik müssen neu als Einheit verstanden werden. Das heißt, ökologische Ziele sind bereits am Anfang aller Entscheidungsprozesse zu berücksichtigen (Vorsorge statt Nachsorge). Der Staat als Bewahrer der Lebensinteressen aller Bürger hat die Aufgabe, einen verbindlichen ökologischen Ordnungsrahmen für unser wirtschaftliches Handeln zu schaffen. Zu diesem Ordnungsrahmen gehören die Definition klarer umweltpolitischer Ziele und das konsequente Anstreben eines gesellschaftlichen Konsenses für ihre Verwirklichung. Der Staat ist verpflichtet alle zur Verfügung stehenden Instrumente sowohl ordnungsrechtlicher (Gebote, Verbote) wie auch ökonomischer Art (Ökosteuern, Ökoabgaben) in der jeweils wirkungsvollsten Kombination einzusetzen.

These 7

Natur auszubeuten ist bis heute lohnend, weil die Folgekosten des Wirtschaftens auf die Allgemeinheit abgewälzt werden können. Die Preise müssen endlich die ökologische Wahrheit sagen. Umweltbelastendes Wirtschaften muß wesentlich teurer, umweltverträgliches entsprechend billiger werden. Die Vermeidung ökologischer Schäden muß in Zukunft als positiver ökonomischer Nutzen bewertet werden. Eine verteuerte Naturnutzung, insbesondere der Energie, verbunden mit einer steuerlichen Entlastung der Arbeit, wird den Erfindungsgeist hin auf die Entwicklung eines intelligenteren Zusammenspiels mit der Natur fördern und die menschliche Arbeit aufwerten.

These 8

Eine ökologische Erneuerung der Wirtschaft kann nur gelingen, wenn die Unternehmen ihre zentrale Rolle und Verantwortung dabei wahrnehmen. Ökologische Unternehmenspolitik ist eine alle Bereiche des Unternehmens umfassende Strategie, von der Definition der Ziele über die Produktentscheidungen, die Auswahl der Produktionsverfahren und den Einsatz von Stoffen, die Personalpolitik bis hin zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen und der Berücksichtigung der ökologischen Auswirkungen der Transportwege. Die Entscheidungsgrundlagen hierfür sind mittels ökologischer Informationssysteme (Ökobilanzen, Öko-Controlling) zu schaffen.

These 9

Ökologische Unternehmenspolitik erschöpft sich nicht in der Erfüllung gesetzlicher Anforderungen. Erfolgreich werden in Zukunft diejenigen Unternehmen sein, die begreifen, daß ihr ökologisches Engagement Teil eines umfassenden ökologischen kulturellen Wandels ist, der sie trägt und den sie zugleich verstärken. Bereits heute gibt es erfolgreiche Unternehmen, die zeigen, daß eine umweltbewußte Unternehmenspolitik möglich und lohnend ist. Umweltbewußte Unternehmer sollen sich verstärkt in Verbänden organisieren, um beratend zu wirken und auf die staatlichen Rahmenbedingungen zugunsten einer effizienteren Umweltpolitik Einfluß zu nehmen.

These 10

Wir als Konsumenten haben eine nicht zu unterschätzende Macht in der Hand, die durch unabhängige Information verstärkt und wirksamer gemacht werden kann. Durch unsere bewußten Kaufentscheidungen können wir Einfluß auf das Warenangebot ausüben und somit die ökologische Wende beschleunigen. Wir müssen den Spielraum, der heute bereits da ist, voll ausschöpfen. Kooperationen zwischen Konsumenten und Produzenten sind zu fördern sowie Institutionen und Instrumente, die aufgeklärtes Handeln ermöglichen. Auch der Einsatz unseres Geldes als Kapitalanlage kann ein Mittel zur Förderung des ökologischen Umbaus der Wirtschaft sein. Ein ökologisch und sozial verantwortlicher Umgang mit Geld ist gefordert.

These 11

Der Weg von der heutigen zu einer ökologischen Wirtschaft ist gemäß der herrschenden Vorstellung von Wohlstand nicht billig zu haben: Ohne eine Reduktion der Gütermenge und des Energieverbrauchs, ohne Abstriche am Einkommen und am Konsum wird es nicht gehen. Dies ist ein bescheidener Preis für die von vielen herbeigesehnte Verbesserung der Umwelt und Lebensqualität. Dies ist der Preis für einen immensen immateriellen Gewinn. Wir werden diesen Weg nur dann beschreiten, wenn sich das persönliche Bewußtsein von unserer Zugehörigkeit zur Natur erweitert und vertieft und wir aus innerer Überzeugung bereit sind, die Natur um ihrer selbst willen zu bewahren.

These 12

Die ökologische Wende der Wirtschaft ist nicht nur eine zwingende Notwendigkeit, sondern kann eine große Chance sein. Sie muß mehr sein als eine bloße technische Umsteuerung, die nur das Überleben sichert. Sie ebnet den Weg zu einer neuen Kultur. Es ist die Kultur einer neuen umfassenden Lebensqualität, eines anderen Umgangs der Menschen miteinander und mit der Natur, einer neuen Gelassenheit und einer neuen Hinwendung zum guten Leben.


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