Toblacher Thesen 1986

MOBILITÄT UND VERKEHR

Auswirkungen und Alternativen, besonders für Alpenraum und Tourismus

Die heutige Art der Mobilität ist Ausdruck unserer Lebens- und Gesellschaftsform. Verkehr ist daher weit mehr als nur eine Transportfrage. Die Verkehrskrise spiegelt die Krise unserer Konsumgesellschaft wieder.

Die negativen Auswirkungen des Verkehrs haben grenzüberschreitende Dimensionen angenommen und stellen, auch infolge des fortschreitenden Waldsterbens, insbesondere für den Alpenraum eine existentielle Bedrohung dar.

These 1

Die menschliche Existenz ist abhängig von der Tragfähigkeit der Biosphäre. Die gegenwärtigen Umwelt-, Wirtschafts- und sozialen Krisen stellen uns vor die Wahl, entweder mit den Entwürfen von gestern in den Niedergang zu steuern oder aber kreativ offene Chancen zu nutzen. Dies gilt auch für das Problem Mobilität und Verkehr.

These 2

Verkehr heißt heute vorwiegend Autoverkehr. Das Automobil hat vielen mehr Ungebundenheit, Komfort und Reisefreude gebracht. Heute jedoch erkennen wir: diese Vorteile sind nicht grenzenlos erweiterbar, jenseits einer Schwelle kehren sie sich in eine Folge von Schäden. Einige sind nicht mehr zu übersehen: Abgase lassen die Wälder dahinsiechen und gefährden die Klimastabilität, Straßen versiegeln lebenserhaltenden Boden, das Ausmaß des menschlichen Leids durch Verkehrsopfer ist untragbar. Von nicht minderer Auswirkung sind die weniger sichtbaren Gesundheitsschäden: Krebserkrankungen, Kreislaufstörungen, Erbschäden.

These 3

Die Siedlungen der Alpen und ihre Bewohner haben von der gewonnenen Mobilität zunächst profitiert: entlegene Dörfer zugänglicher, neue Einkommensquellen geschaffen und für jeden werden neue Möglichkeiten in Reichweite gebracht. Doch zeigt sich auch hier ein Widerspruch: je mehr das Auto unser Leben dominiert, desto weniger können wir ohne Auto auskommen. Was einst als Befreiung begann, hat in einem Netz von Abhängigkeiten geendet.

These 4

Der Tourismus wurde vom motorisierten Verkehr geprägt: für viele hat das Auto Abenteuer, Erholung und Landschaftsgenuß ermöglicht. Die Verallgemeinerung der Zugänglichkeit geht indessen einher mit der Verallgemeinerung der Zerstörung. Der Reisende schafft das wieder, wovor er flieht: Überfüllung, Asphaltierung, Zersiedelung und Umweltbelastungen. Motorisierter Tourismus sägt am eigenen Ast.

These 5

Durch den Bau der Autobahnen wurden die Alpenländer zum Transitkorridor zwischen Nord und Süd. Kolonnen von Lastzügen und Pkws breiten einen Teppich von Schäden aus. Lebensräume werden zu Transiträumen degradiert und Lebensinteressen der Bevölkerung den Wirtschaftsinteressen außerhalb der Alpen untergeordnet.

These 6

Trotz dieser Krisenlagen setzt eine kurzsichtige Politik noch immer auf Verkehrsförderung. Weiterhin werden Berge durchbohrt, Täler überbrückt und Lebensräume zerschnitten, obwohl wir heute wissen, daß Kapazitätserweiterung nichts anderes als noch mehr Verkehr produziert. Eine Umkehr ist dringend geboten: eine weitsichtige Politik muß eine Verminderung des Verkehrs, insbesondere des motorisierten, anstreben. Es gilt zu erkennen, wo der motorisierte Verkehr überhaupt ausgeschlossen werden soll.

These 7

Zugänglichkeit und Transit müssen in der Verkehrspolitik klar voneinander unterschieden werden. Die Zugänglichkeit ist heute für jeden Ort gewährleistet. Der Transitverkehr ist zu begrenzen und auf die Schiene zu verlagern, jeder weitere Ausbau von Transitstraßen ist zu unterlassen. Der Durchlässigkeit des Alpenraums müssen Grenzen gesetzt werden.

These 8

Umwelt-, Gesundheits- und soziale Kosten des Verkehrs dürfen nicht länger auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Dem Verursacherprinzip folgend, muß jedes Verkehrsmittel für seine Gesamtkosten, also auch für die Folgekosten, aufkommen. Dadurch werden die öffentlichen Verkehrsmittel dem motorisierten Privatverkehr gegenüber wieder konkurrenzfähig.

These 9

Umweltverträgliche Verkehrsarten müssen wirksam gefördert werden, damit sie eine echte Alternative darstellen. Kapazitäten und Angebot des öffentlichen Verkehrs sind auszubauen bei gleichzeitiger Reduktion der Kapazität des Straßenverkehrs. Fußgänger und Fahrradverkehr müssen attraktiver und sicherer gestaltet werden. Im Bereich des Tourismus sind umweltverträgliche Reiseangebote zu schaffen.

These 10

Geschwindigkeit muß gesenkt werden (z.B. 30 km/h innerorts, 80 km/h auf Landstraßen und 100 km/h auf Autobahnen). Langsamere Autos sind sicherer, verbrauchen weniger Energie und weniger Fläche, sie verursachen weniger Lärm und Schadstoffemissionen. Der Straßenraum ist so zu gestalten, daß sich niedrigere Geschwindigkeiten von selbst einstellen.


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